Donnerstag, 12 Uhr im Marienviertel. Vor dem Café Credo an der Hauptstraße haben sich kleine Grüppchen gebildet, die auf Einlass warten. Gibt es hier etwas umsonst? Ja, ein Mittagessen. Und Gesellschaft.
Was heute auf der Karte steht, verrät der Duft, der auf den Gehsteig weht: Gemüsesuppe. Und zum Nachtisch Vanillepudding. Neun Menschen dürfen gleichzeitig – unter Corona-Bedingungen – die Speisen im Café Credo zu sich nehmen. Bewirtet werden sie von freiwilligen Helferinnen und Helfern. „Die haben gestern schon angefangen zu kochen“, sagt Rolf Kappel, der bei der Wittener Caritas für die Quartiersentwicklung zuständig ist.
Spenden gehen an das Hospiz und den Kinderschutzbund
Der kostenlose Mittagstisch im Marienviertel findet immer am letzten Donnerstag im Monat statt. „Wenn der Monat noch nicht zuende, aber das Geld alle ist“, erklärt Kappel die Idee. „Wer möchte, kann was ins Schwein werfen.“ Die Spenden werden allerdings nicht in die Lebensmittel gesteckt. Die eine Hälfte geht ans Wittener Hospiz, die andere an den Kinderschutzbund. Beim ersten Mittagstisch im Juni sind 92 Euro zusammengekommen. Am Ende des heutigen Tages werden es sogar 253 Euro sein.
Dass die Caritas das kostenlose Mittagessen ausgerechnet im Marienviertel anbietet, ist kein Zufall. Rolf Kappel verweist auf den Sozialindex der Stadt Witten, der zeigt: Die Bereiche Crengeldanzstraße und Lutherpark gelten als besonders belastet. „Hier leben im gesamtstädtischen Vergleich überdurchschnittlich viele Kinder und Jugendliche mit Zuwanderungshintergrund, wachsen in Bedarfsgemeinschaften auf und befinden sich in Hilfen zur Erziehung“ heißt es in dem im Juni von der Stadt veröffentlichten Dokument.
Verkehr und Lautstärke machen Quartier für wohlhabendere Wittener unattraktiv
Auch alleinerziehende Haushalte sind laut Sozialindex in diesem Stadtgebiet Wittens überdurchschnittlich häufig vertreten, der Anteil an Personen in Bedarfsgemeinschaften ist überproportional hoch und die Arbeitslosigkeit besonders ausgeprägt. Außerdem leben hier vergleichsweise viele Seniorinnen und Senioren in Bedarfsgemeinschaften und erhalten Grundsicherung im Alter.
Mögliche Gründe dafür, dass im Marienviertel viele Menschen mit bescheidenen finanziellen Mitteln leben, sind für Rolf Kappel der Verkehr und die Lautstärke im Quartier. Daher sei das Mietniveau hier niedrig geblieben, so seine Einschätzung. Darum möchte die Caritas hier besonders diejenigen unterstützen, die mangels Geld oder Förderung oft nicht am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Zum Beispiel mit dem Mittagstisch unter dem Motto „Gemeinsam schmeckt es besser“.
Köchin bekommt Lob für ihre Hausmannskost
Köchin Waltraud Meyer hat heute schon viel Lob für ihre Hausmannskost bekommen. „Das war ein schöner Ansturm hier heute“, sagt die 78-Jährige. Beim ersten Mittagstisch im Juni hat sie etwa zwölf Menschen gezählt. „Aber jetzt, ich habe schon nachgerechnet, 30!“ Drei von ihnen sitzen an einem Tisch am Fenster vor bereits leeren Tellern. Nicht nur das Essen hat ihnen geschmeckt. „Wir haben Leute wiedergesehen, die wir ewig nicht gesehen haben“, sagt Rosi.
Draußen auf dem Hof vor dem Hospiz sitzt der Deutsch-Sprachkurs unter Leitung von Rim Alabdallah. „Lecker“ fand Alabdallah die Gemüsesuppe. „Ich habe zwei Teller gegessen.“ Sie und ihre Schülerinnen wollen beim Mittagstisch mit Deutschen in Kontakt kommen und so die Sprache noch besser lernen.
Sprachkurs will arabische Linsensuppe kochen
Zum Beispiel, was es heißt, „etwas Zeit mitzubringen“. Das hatte Alabdallah ihrem Kurs vor dem Mittagstisch empfohlen und dann verständnislose Blicke geerntet. Eine Flasche Wasser etwa könne man mitbringen, aber Zeit? Die Frauen lachen. Beim nächsten Mittagstisch im August wollen sie für alle arabische Linsensuppe kochen.
Es geht aber nicht nur ums Essen an diesem Donnerstag, sondern auch darum, mal wieder herauszukommen und in Kontakt zu treten, erklärt Rolf Kappel. Wer zum Essen vorbeikommen will, „muss nicht arm sein, nicht reich sein, das ist egal“, sagt der Caritas-Mitarbeiter. „Hauptsache, man hat Spaß an der Gemeinschaft.“
Quelle: WAZ Witten vom 2.8.2021, Autorin Gesa Kortekamp