Ein WAZ-Artikel von Annette Kreikenbohm, 8.3.2019.
Naira und Sizar mussten lange auf ein Visum für ihr Kind warten, das noch in Armenien bei den Großeltern wohnte. Beinahe wären sie verzweifelt.
Mit jeder Woche, die tatenlos verstrich, wurde ihr das Herz schwerer. Naira Ziroyan sehnte sich nach ihrem Sohn Rafik, der noch in Armenien bei den Großeltern war, während sie bereits in Witten lebte – bei ihrem Mann. Das Paar setzte alle Hebel in Bewegung, um endlich das Visum für den kleinen Jungen zu bekommen. Es war ein Weg mit vielen Hürden, doch er hat ein Happy End: Vor knapp zwei Monaten konnte die Mutter den Neunjährigen endlich in die Arme schließen.
Ebenso glücklich, wie diese Geschichte endet, ebenso ungewöhnlich ist ihr Beginn. Naira Ziroyan lebt mit ihrem Sohn, der seinen leiblichen Vater nie kennengelernt hat, in Armenien und arbeitet als Anwältin im Rathaus der Hauptstadt Jerewan, ein guter Job. Sie ist zufrieden, auch das Verhältnis zu ihren Eltern ist gut. Nie habe sie einen Gedanken daran verschwendet, ihre Heimat zu verlassen. Doch der 11. Februar 2017 stellt ihr Leben auf den Kopf.
Sizar hat das Foto der jungen Frau im Netz entdeckt
An diesem Tag sendet Sizar Bouladian (37) via Facebook eine Nachricht an Naira: „Hallo, wie geht es dir?“ Er hatte das Foto der jungen Frau bei einer Spendenkampagne im Netz entdeckt. „Sie hat mir gefallen.“ So gut, dass Sizar alles daran setzt, ihren Namen herauszufinden. Da lebte er schon lange in Deutschland. Mit vier oder fünf hatte er sein Geburtsland Syrien zum letzten Mal gesehen, sein Vater arbeitete vorwiegend in Polen und Russland.
Auch Naira gefällt der junge Mann. Sie schreiben drei Monate hin und her. Dann fliegt Sizar nach Armenien. „Und wir haben uns gleich verlobt.“ Nach wenigen Wochen ist Naira klar: „Den will ich heiraten.“ Die Trauung findet in Armenien statt. Inzwischen besucht die heute 33-Jährige einen Deutschkurs, um ein Visum zu bekommen. Für sie steht außer Frage, dass auch ihr Sohn das notwendige Dokument erhalten wird, schließlich gehören Mutter und Kind zusammen. Doch so einfach ist das nicht.
Beide arbeiteten wie verrückt
Das Einkommen ihres Ehemannes sei zu gering, heißt es von Behördenseite. Ein Schock für das Paar. Im Dezember 2017 entschließt sich Naira, nach Witten zu kommen – ohne ihr Kind. Um Rafik so schnell wie möglich nachholen zu können, arbeiten beide wie verrückt. Tatsächlich findet Naira nach nur einem Tag Probezeit einen Job in der Wittener Versandmanufaktur, in der auch der gelernte Automechaniker Sizar arbeitet. Der ist seinem Chef Frank Hammermeister unendlich dankbar. Und nicht nur ihm.
Denn irgendwann wenden sich Naira und ihr Mann in ihrer Verzweiflung an die Integrationsagentur der Caritas. Weil es bei den Ämtern einfach nicht vorangeht. Und weil Rafik jeden Tag fragt: „Mama, wann kommst du mich endlich holen?“ Flüchtlingssozialarbeiterin Maria Gavrish, Agenturleiterin Stephanie Rohde und auch Caritas-Chef Hartmus Claes geht das Schicksal der kleinen Familie so zu Herzen, dass sie sich besonders für sie einsetzen. Mit Erfolg.
Rafik lebt nun mit Mama und dem Papa, den er sich immer gewünscht hat, in Heven. Er besucht die vierte Klasse der Hellwegschule und hat schnell Freunde gefunden. „Weißt du was“, hat er neulich zu Sizar gesagt, „es gefällt mir in Deutschland“. Dem frisch gebackenen Papa ist ein Stein vom Herzen gefallen – einer von vielen in den letzten Monaten.
Bei allen Beteiligten sind viele Tränen geflossen
Viele Tränen sind geflossen beim Versuch, ein Visum für den kleinen Rafik zu bekommen. Nicht nur bei ihm selbst und bei seiner Mutter. Auch bei Stephanie Rohde, der Leiterin der Caritas-Integrationsagentur, und Flüchtlingssozialarbeiterin Maria Gavrish.
„Man kann nicht immer Nähe und Distanz wahren“, sagt Rohde. Sie habe selbst einen Sohn in Rafiks Alter, Maria Gavrish einen Enkel. Das Schicksal der jungen Familie rührte sie um so mehr, als das Paar einen enormen Ehrgeiz an den Tag gelegt habe. Um endlich das Einkommen nachweisen zu können, das die Behörden für das Visum des Kindes forderten, haben Naira Ziroyan und Sizar Bouladian beide in Vollzeit gearbeitet und zusätzlich einen Nebenjob angenommen. Zigmal wurde Sizar bei der Ausländerbehörde vorstellig, „immer haben die mir was anderes gesagt“.
Schicksal trifft auf Beratungsalltag
Die Verzweiflung und die Angst des Paares wuchsen, als Naira ihre Probleme in einem Brief auf Armenisch formulierte, den sie dann auf Facebook postete. „Zwei Tage später erreichten uns 150 Nachrichten von Menschen, denen es offenbar ähnlich erging wie uns“, sagt Sizar.
Wir hätten das für jede andere Familie auch getan“, sagt Rohde. „Das ist schließlich unsere Arbeit“, ergänzt Maria Gavrish. Und es sei ein positives Beispiel dafür, was in ihrem Beratungsalltag so geschieht.