SEELSORGE IN DER PFLEGE
Foto: Christiane Lorenz und Hilde Hussong (101)
Heiligabend war Christiane Lorenz am späten Vormittag damit beschäftigt, sechs Menschen im Marien-Hospital und im Evangelischen Krankenhaus zu besuchen. Sie hat mit ihnen gesprochen und sich angehört, was sie auf dem Herzen haben. Hat Seelsorge im christlichen Sinn betrieben. Die 51-Jährige ist Mitarbeiterin des ambulanten Pflegedienstes bei der Caritas. Doch nach einer Fortbildung ist sie nun außerdem als begleitende Seelsorgerin unterwegs. Die Caritas Witten hat damit ein Pilotprojekt gestartet. Und wirkt gleichzeitig dem Wegbrechen seelsorgerlicher Tätigkeiten in den Kirchengemeinden entgegen.
So erlebt es jedenfalls Dieter Fender (59), ehemals als Gemeindereferent bei St. Joseph in Annen und nun in der Pfarrei Heiligste Dreifaltigkeit des Pastoralverbunds Witten-Ost im Einsatz. „Wir spüren, dass die Seelsorge, wie wir sie jahrelang praktiziert haben, nicht mehr funktioniert.“ Caritas-Gruppen lösen sich auf, weil die Mitglieder zu alt sind, das hauptamtliche Personal wird weniger. „Das hat zur Folge, dass wir uns aus der Seelsorge mehr oder weniger verabschiedet haben“, sagt Fender. Weil diese Aufgabe aber zu den „Pfeilern christlichen Vollzugs“ gehören, kam ihm das Projekt der Caritas gerade recht. Er, der selbst seit Juni als Seelsorger das St. Elisabeth-Hospiz besucht, wirkt dabei als Mentor, als Ratgeber mit.
Dass die Seelsorge nun in der ambulanten Pflege Einzug hält, geht letztlich auf eine Initiative des Erzbistums Paderborn zurück. „Hektik und Stress greifen in der Pflege immer mehr um sich“, sagt Caritas-Geschäftsführer Hartmut Claes (60). „Da war es wohltuend, dass der Erzbischof in der stationären Pflege ein Zeichen setzte und Altenpfleger zu seelsorgerlichen Begleitern ausbilden ließ.“
Zur Hälfte ist sie für die Seelsorge freigestellt
Was im Heim funktioniert, kann auch im ambulanten und damit häuslichen Bereich nicht schaden, dachte sich Claes. Und so sind die Wittener die ersten, die auch dort für seelischen Beistand sorgen. Und Christiane Lorenz ist die erste und bislang einzige, die diese Aufgabe ausübt – bis zu 50 Prozent ist sie dafür freigestellt.
Lorenz, die aus einem katholischen Elternhaus stammt und in der Marien-Gemeinde aufwuchs, sah darin eine Chance, mehr Zeit für die Patienten zu haben. Zumindest für jene, die besonders unter Einsamkeit leiden. Die keine Angehörigen haben. Denen der Umzug ins Altenheim schwerfällt. Die schwer krank sind und Angst vor dem Tod haben. Weil Christiane Lorenz nicht alle 400 Patienten kennt, die die Caritas ambulant betreut, ist sie auf die Hilfe des Mitarbeiter-Teams angewiesen. Das funktioniert gut: „Kannst du da mal vorbeifahren“, das hört sie oft von ihren Kollegen. Und dann geht sie dorthin, wo sie gebraucht wird.
Sie sitzt am Bett einer Sterbenden
„Ich spule dann kein Programm ab, sondern muss aufmerksam wahrnehmen, was nötig ist“, sagt Christiane Lorenz und betont, sie sei keinesfalls Therapeutin. Aber sie sitzt, wenn’s sein muss, eine Stunde am Bett einer Sterbenden. „Wir haben erstmal gar nicht gesprochen. Es reicht manchmal schon, wenn ich einfach da bin.“
Für die Beerdigung eines Patienten, dessen Mutter sie lange gepflegt hatte, hat sie einen würdigen Rahmen geschaffen. „Ich wusste, dass sonst keiner kommen würde.“ Deshalb hat sie selbst eine kleine Trauerrede gehalten.
Seit einem Jahr arbeitet Christiane Lorenz als begleitende Seelsorgerin. Und sie spürt: Der Bedarf ist da. Täglich besucht sie in diesem Auftrag einen Patienten. Dieter Fender freut der Erfolg des Projekts: „So verbindet sich Caritas- und Gemeindearbeit gut. Auf diese Weise können wir die Kompetenz in der Seelsorge neu zurückgewinnen.“
Jedoch könne es nicht sein, dass Seelsorge nur Aufgabe der Hauptamtlichen bleibt. Deshalb appelliert er an alle christlichen Gemeinden, sich dafür zu engagieren. „Seelsorge“, sagt Dieter Fender, „ist konkrete Nächstenliebe“. Sie lasse die Menschen spüren und erleben, dass sie nicht allein sind.
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Gemeindereferent Dieter Fender hat das Projekt der häuslichen Seelsorge, wie es die Caritas jetzt umsetzt, mit entworfen. Er hofft, damit die Mitmenschlichkeit in den Gemeinden wieder zu stärken. Dort gebe es kaum noch die in früheren Jahren üblichen Besuchsdienste, wie sie zum Beispiel in der St. Vinzenz-von-Paul-Gemeinde existieren.
Das Pilotprojekt der Caritas Witten soll Ende 2018 ausgewertet werden. Geschäftsführer Hartmut Claes ist optimistisch, dass es fortgeführt wird: „Wir erhalten schon Anrufe aus anderen Bistümern, die Interesse an der begleitenden Seelsorge zeigen.“ Wer sich für eine Fortbildung interessiert: 0152-31950113 (Fender) oder 910-9017 (Andreas Waning, Caritas).
Quelle: WAZ Witten vom 29.12.17, Autorin: Annette Kreikenbohm