Politiker, die im Wahlkreis 139 für Hattingen, Witten, Herdecke, Sprockhövel, Wetter antreten, stellten sich den Fragen der Caritas Witten und Ennepe-Ruhr zu Pflege und sozialer Teilhabe. Als Impuls wurden erstmals die Fotos des Hattingers Ralf Scherer aus einem Caritas-Projekt gezeigt – er begleitete ein Jahr lang Pflegekräfte.
Eine freudige Begrüßung, ein herzliches Lachen trotz körperlicher Nöte, ein tröstend um die Schultern gelegter Arm, einmal Bücken zum kleinen bellenden Mitbewohner – es sind besondere Momentaufnahmen, die noch bis Ende des Jahres in der Fotoausstellung „Die Zukunft braucht Pflege“ in Witten zu sehen sind. Am Freitag, 27. August, wurde die Schau mit Bildern von Ralf Scherer im Ardey-Hotel, Ardeystraße 11, von Wittens Bürgermeister Lars König eröffnet.
Die Ausstellungseröffnung bildete den Impuls für die anschließende Gesprächsrunde mit Bundestagskandidaten des Wahlkreises 139 (Hattingen, Herdecke, Sprockhövel, Wetter, Witten), zu der die Caritas Witten und Caritas Ennepe-Ruhr eingeladen hatten.
Fragen nach Zielen bei sozialer Teilhabe und Pflege
Der Schwerpunkt der Fragen von Wittens Caritas-Geschäftsführer Hartmut Claes und Dominik Spanke, Direktor der Caritas Ennepe-Ruhr, vor rund hundert Gästen: In welcher Verantwortung sehen sich die Kandidaten für Alte und Pflegebedürftige, Kranke und sozial Benachteiligte? Welche Möglichkeiten sehen die Kandidaten auf politischer Ebene, die Situation für Pflegekräfte und Patienten zu verbessern.
Im Gespräch mit Caritas-Vorstand Hartmut Claes sprach die FDP-Politikerin Anna Neumann, Tochter einer examinierten Pflegekraft, von einem nötigen „Kulturwandel“ beim Blick auf die Pflege und Pflegeberufe, für die von der Politik „ein vernünftiger Rahmen“ geschaffen werden müsse. Es gehe um eine wichtige Aufgabe, um die Würde des Menschen. Eine mögliche Entlastung für Pflegekräfte sieht sie zukünftig in der Robotik, die bei schweren Arbeiten unterstützen könne. Außerdem müssten auch die Pflegewissenschaften als duales Studium angeboten werden.
Jeweils zehn Minuten hatten die Kandidaten, um sich vorzustellen und auf Fragen zur Pflege zu antworten. Für die Grünen-Politikern Ina Gießwein, als Logopädin regelmäßig im Kontakt mit Pflegern und Patienten, zählt zu einer Neuaufstellung des Gesundheitssystems: „Dass wir nicht sagen, Pflege braucht mehr Geld – das wäre nicht genug.“ Für sie gehören die 30-Stunden-Woche und eine neue Berufsordnung ebenso auf die Liste wie eine Lösung dafür, dass studierte Pflegekräfte, „kaum etwas von dem tun dürfen, was sie können, weil wir ein arztzentriertes System haben“.
Bessere Bezahlung und Anerkennung gleicher Qualifikation
Spritzen geben, passende Medikamente auswählen und verabreichen, Caritas-Vorstand Hartmut Claes nennt ein Beispiel einer Pflegehilfskraft mit Zusatzausbildung, die all das mit ihrem Abschluss in Rheinland-Pfalz durfte und konnte. In NRW bekam sie keine Zulassung. Für den CDU-Kandidaten Hartmut Ziebs „kann es einfach nicht sein“, dass das bei gleicher Qualifikation in verschiedenen Bundesländern möglich ist. Außerdem „fuchst“ ihn, dass es einen Markt für Zeitarbeit in Pflege gebe. „Da muss man sich Gedanken machen, ob das zulässig ist. Die Kräfte, die dort arbeiten, fehlen in den Pflegediensten“, sagt der Christdemokrat, der durch seine pflegebedürftige Mutter mit der Pflegethematik zu tun hatte.
Den Satz „Pflege ist ein Beruf für Frauen“ hat Axel Echeverria schon gehört: Für ihn ist er „ein Synonym für schlechte Bezahlung“. Der Sozialdemokrat fordert, dass „mit dieser Arbeit so viel verdient wird, dass ein Hauptverdiener genug Geld bekommt“. Den von seiner Partei geforderten flächendeckenden Tarifvertrag Altenpflege hält er vor allem aus zwei Gründen für wichtig: wegen des „Wildwuchses gerade im privaten Pflegesektor mit mehr als hundert Tarifverträgen“ und einem „fairen Lohn von 18,50 Euro“.
Eric Tiggemann von der Piratenpartei sieht nicht nur eine politische, sondern gesamtgesellschaftliche Aufgabe darin, Respekt und Wertschätzung für den Pflegeberuf zu erreichen. Für ihn gehört auch angesichts des Personalmangels dazu, die Themen Tod und Krankheit zu enttabuisieren. „Corona hat uns geerdet. Wir müssen uns bewusst machen, dass wir alle von Pflege abhängen.“
Soziale Teilhabe durch kostenfrei Bildung
Beim Themenkomplex „Soziale Teilhabe“ waren sich die Bundestagskandidaten einig, dass dazu freier Zugang zu Bildung wesentlich ist. Auf Nachfrage von Caritasdirektor Dominik Spanke nannte Anna Neumann (FDP) die Talentschulen NRW als „gutes Beispiel sozialer Teilhabe“, das nach ihrer Ansicht bundesweit ausgeweitet werden sollte. Die Beitragsfreiheit der ersten zwei Kitajahre sei ein Weg, der weiter beschritten werden müsse. Für Ina Gießwein (Grüne) muss, „wenn kein Kind in Armut leben soll, jeder an Kindergarten und Schule teilhaben, aber auch die weitere Bildung frei sein“. Zum Beispiel auch dann, wenn sich jemand im Beruf weiterbilden wolle. Mehr Lehrkräfte für Inklusion an Schulen und ein Breitbandausbau für eine Verbesserung im Bereich „digitale Schule“ gehören außerdem für sie auf die Liste.
Axel Echeverria (SPD)nannte kostenfreie Bildung ebenfalls als Schlüssel zur Teilhabe – und zwar bis zum Master beziehungsweise Meister – genauso wie eine Kindergrundsicherung als Voraussetzung für Chancengleichheit. Zwölf Euro Mindestlohn sind für Hartmut Ziebs (CDU) „zu wenig“. Wenn Kitas gebührenfrei seien, dann müsse „Frauen aber auch die Möglichkeit gegeben werden, zurück in Arbeit zu kommen“. Für ein Plus an Arbeitsplätzen seien auch in der Region Branchen im Bereich Klimaschutz ausbaufähig. Für Eric Tiggemann von der Piratenpartei sind ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ und ein Mindestlohn über 13 Euro unabdingbar.
Fotos: kleines Bild: Claudia Kook (Caritas EN), großes Bild: Barbara Zabka WAZ Witten (28.08.2021)