Quelle: WAZ Witten, Autorin Stephanie Heske, 2.8.2023
Nadia Zarry kam 2009 nach Witten. Heute macht die dreifache alleinerziehende Mutter eine Ausbildung zur Pflegerin. Wie sie das schafft.
Herausfordernde Arbeitszeiten, niedriges Gehalt und wenig gesellschaftliche Anerkennung: das ist das derzeitige Image der Pflegebranche. Viele Jugendliche lassen sich davon abschrecken, in Witten sind etwa für das nun startende Ausbildungsjahr noch 18 Lehrstellen unbesetzt. Ganz anders blickt Nadia Zarry (43) auf den Beruf, den sie gerade bei der Caritas im zweiten Ausbildungsjahr lernt. Dabei sind ihre Voraussetzungen nicht gerade ideal: die gebürtige Marokkanerin, die seit 2009 in Witten lebt, ist alleinerziehende Mutter von drei Kindern.
„Das ist, was ich mir schon immer gewünscht habe“, sagt Zarry. Schon immer habe sie sich gerne um ihre Mitmenschen gekümmert, etwa auf ihre Geschwister aufgepasst oder kranke Verwandte versorgt. Ihren Weg geht sie deshalb unbeirrt und mit beeindruckendem Pragmatismus. „Ich mache das, ich schaffe das“, antwortet sie, wenn man sie fragt, wie sie denn den Alltag mit den drei Kindern Lian (4), Elynn (9) und Leonno (12) meistere. Nebenbei ist sie auch noch eine absolute Vorzeigeschülerin, wie Caritas-Chef Andreas Waning betont – sowohl in der Theorie als auch in der Praxis.
Gelernt wird erst nach 20 Uhr
Dabei bleibt ihr fürs Lernen nicht viel Zeit. Nach Schichtende wird Söhnchen Lian aus der Kita abgeholt. Zuhause warten dann schon die beiden Großen. Die kommen nach der Schule alleine nach Hause, wärmen sich das am Vortag vorbereitete Mittagessen auf und machen anschließend Hausaufgaben. „Sie sind sehr selbstständig. Ich habe sie so erzogen“, sagt Zarry. Erst wenn die Kinder ab etwa 20 Uhr im Bett liegen, kann die dreifache Mutter ihre Nase in die Bücher stecken – oder kochen, putzen, Wäsche waschen, was eben anfällt.
Seit 2009 lebt Nadia Zarry in Witten. In Marokko arbeitete sie nach Abitur und Studium als Französischlehrerin. Dann verschlug es sie nach Frankreich, wo sie als Nachhilfelehrerin ihr Geld verdiente. Dort lernte sie auch ihren heutigen Mann kennen, einen gebürtigen Kameruner, der in Deutschland studiert hatte. Für ihn zog sie schließlich nach Witten, als dieser dort eine neue Stelle antrat. Mit ihm bekam sie auch ihre drei Kinder, die alle in der Ruhrstadt das Licht der Welt erblickten. Das Paar ist auch weiterhin zusammen, doch der Familienvater arbeitet mittlerweile in Frankfurt, kommt nur zweimal im Monat nach Hause.
Flexible Anfangszeiten machen Pflegeausbildung möglich
Nadia Zarry muss ihr Leben also ohne ihn organisieren. Damit sie Ausbildung und Familie unter einen Hut bringen kann, kommt ihr die Caritas entgegen. Sie wird nur für solche Schichten eingeteilt, die es ihr ermöglichen, zuvor den Jüngsten in die Kita gebracht zu haben und ihn nach Dienstschluss wieder abzuholen. Denn beim ambulanten Pflegedienst mit seinen rund 45 Kräften – hauptsächlich Frauen – gibt es seit der Corona-Zeit sogenannte „Mutti-Touren“. Bei ihnen können die Mitarbeiterinnen ihre Runden zwischen 7.30 und 9 Uhr beginnen, je nachdem, wie es die individuelle Situation erlaubt. Sonst geht es schon um 6 Uhr los.
Spätdienste fährt Zarry nur an den wenigen Tagen, an denen ihr Mann sich zu Hause um die Kinder kümmern kann. Auch in ihren Ausbildungsstationen, etwa im Marien-Hospital, kann sie die Mittelschichten übernehmen. „Wir achten sehr auf den Bedarf unserer Kolleginnen“, sagt Caritas-Chef Waning. Das sei aber auch nötig. Ohne die neue Flexibilität wäre es noch schwieriger, neue Fachkräfte zu finden. Für das im Oktober beginnende neue Ausbildungsjahr ist bei der Caritas auch noch eine Stelle unbesetzt.
Schulabschluss lange nicht anerkannt
Einen Job in ihrer neuen Heimat zu finden, war für Nadia Zarry nicht leicht. Sehr lange – bis April 2022 – sei ihr marokkanischer Schulabschluss nicht anerkannt worden, erzählt sie. Doch sie schlug sich durch, arbeitete mal als Küchenhelferin, dann machte sie Praktika im Altenheim und einer Kita, ließ sich 2016/17 schließlich zur Schulbegleiterin qualifizieren. Doch eine feste Stelle konnte sie auch damit nicht finden. Sie habe viele Absagen wegen ihrer Kinder bekommen, sagt Zarry. Oder vielmehr, weil sie zeitlich nicht so flexibel sein konnte, wie es die Arbeitgeber verlangt haben.
„Es ist so ein schönes Gefühl, ich fange jetzt ein neues Leben an“, strahlt Nadia Zarry. Denn nur zuhause zu sein, mache sie müde. Nun habe sie zwar weniger Zeit mit ihren Kindern, dafür nutze sie aber die verbleibende Zeit umso intensiver. Auf der Berufsschule waren in Zarrys Klasse übrigens zu Beginn 26 angehende Pflegerinnen und Pfleger. Jetzt sind es noch 15. „Manche haben keine Ausdauer. Denn es ist kein leichter Beruf“, sagt die dreifache Mutter. Für sie allerdings scheint es ein Klacks zu sein.